Galvaynes Einführung in die Rechtskunde

 
 
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Der folgende Text gehört zu Galvaynes Standard-Vorlesungen an der Universität von Centrona.

Schemurien ist ein Rechtsstaat. Damit ist eigentlich alles schon gesagt.
...Nein? Dann möchte ich doch ein wenig ausholen.

Als Rechtsstaat wird ein Gemeinwesen bezeichnet, in dem die gesamte öffentliche Gewalt an Recht und Gesetz gebunden ist und eben daraus ihre alleinige Legitimation bezieht. In einem Rechtsstaat ist also die Macht des Staates begrenzt; die Bürger sind vor staatlicher Willkür geschützt. Ein Rechtsstaat ist seinem Prinzip nach auf die Herstellung und Erhaltung eines materiell gerechten Zustandes ausgerichtet. Die Rechtsstaatlichkeit ist eine Voraussetzung für verschiedene gerechte Staatsformen, so auch die hier praktizierte von der Königin ausgehende Monarchie.

Wir wollen nicht verkennen, daß es sich bei einer Monarchie um ein absolutistisches Staatsmodell handelt. Nichts anderes ist in den Mittellanden üblich, und auch außerhalb des Kontinents geht es vergleichbar zu.
In der schemurischen Variante dieses Modells reflektiert sich die Herrscherin als "oberste Dienerin des Staates": als Gegenleistung für die absolute Macht im Staat sorgt sie wiederum für das umfassende Wohlergehen des Volkes. Das Instrument dafür ist nicht nur eine Verwaltung, sondern es sind auch Exekutivorgane, die mit anderen besonders dem Staat verpflichteten Stellen für Sicherheit und Ordnung sorgen. Es geht nicht hauptsächlich darum, mit allumfassenden Befugnissen das Wohlergehen der Untertanen zu sichern, sondern mit genau den Berechtigungen, welche durch Gesetz vorgesehen sind. Andernfalls würden wir von einem Wachenstaat oder einer Militärherrschaft reden, und diese liegt offenkundig nicht vor.

Welche Elemente machen nun den Rechtsstaat aus?

Das Rechtstaatsprinzip

Das Rechtsstaatsprinzip ist ein Staatsformmerkmal des Königreiches Schemurien und gehört zu seinen elementaren Verfassungsgrundsätzen. Inhaltlich umfasst der Rechtsstaat die Gebiete der Freiheitssicherung, der Rechtsgleichheit, der Rechtssicherheit und der Gewaltenteilung.
Das Rechtsstaatsprinzip erwächst übrigens direkt aus Artikel 2 Absatz 1 der Reichsverfassung, welche die Königin mit ihren Beratern im ersten Jahrhundert geschrieben hat.

Die Freiheitssicherung

Unter dem Begriff der Freiheitssicherung versteht man die Sicherung der Grund- und Wesensrechte wie Glaubens- und Meinungsfreiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung, Eigentumsfreiheit etc. Mit ihnen soll das Individuum vor staatlicher Willkür geschützt werden, aber auch gegen Übergriffe Dritter.

Die Rechtsgleichheit

Das Prinzip der Rechtsgleichheit beinhaltet den Abbau der Klassengesellschaft, in denen bestimmte Klassen Rechtsvorteile erhielten (z. B. Beschränkung des Waffenrechts, Steuerfreiheit für den Adel, Leibeigenschaften). Der Kernpunkt der Rechtsgleichheit ist die Gleichheit aller vor dem Gesetz und die allgemeine und nicht nur auf bestimmte Gruppen bestimmte Geltung staatlicher Gesetze.

In der Verfassung findet sich das Prinzip der Rechtsgleichheit vor allem in den Artikeln 12 und 103 wieder. Ein Anspruch auf den gesetzlichen Richter wird in Artikel 65 Abs. 1 festgemacht, in Artikel 5 Abs. 2 der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zur Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit im Einzelfall. Artikel 65, Abs. 3 gibt jedem Bürger Anspruch auf rechtliches Gehör.

Die Rechtssicherheit

Rechtssicherheit meint die Kalkulierbarkeit der Handlungen sowie die Bindung der staatlichen (Verwaltungs-)Organe, ebenso der Judikative, an das Gesetz, die Tatsache, dass staatliche Eingriffe in die Privatsphäre des Bürgers nur auf Grund eines Gesetzes erfolgen kann, der Schutz vor willkürlicher Verhaftung, das Verbot rückwirkender Gesetze ebenso die Rechtsgrundsätze in privaten Beziehungen, letztere geregelt im Ersten Buch der Gesetze.

Die Gewaltenteilung

Mit der Gewaltenteilung soll die Kontrolle von staatlicher Gewalt eingeschränkt werden, um Missbrauch und Willkürherrschaft zu verhindern. Dieser Grundsatz ist jedoch praktisch nur schwer einzuhalten. So liegt hier auch vielmehr eine Gewaltenverschränkung vor: Die Regierung und die Mehrheit des Beraterinnenbundes stimmen in ihren Zielen und Wegen politisch überein. Sie bedienen sich der inneren und äußeren Exekutive, um die Staatsziele zu sichern und die Gesetze durchzusetzen. Dies geht auch schon aus Artikel 2, Absatz 2 hervor. Die richterliche Gewalt, die Judikative ist aber weitgehend unabhängig. In besonders bedeutsamen Fällen oder bei Gnadengesuchen werden Fälle auch vor die Königin getragen. Sie ist zu solchen Entscheidungen legitimiert. Die Gewaltenteilung wird in Artikel 5, Absatz 3 festgelegt.


So - durch diese Ausführungen sollte bereits deutlich werden, dass nur ein Rechtsstaat Gerechtigkeit ermöglichen kann. Wir leben nicht mehr in der einfachen Welt des Alten Zeitalters mit harten Königen, die vom Adel unterstützt oder teilweise gelenkt wurden. Die Erwartungen an die Richter sind hoch. Es wird im Volke häufig erwartet, dass ein Gericht innerhalb kürzester Zeit "gerecht" über einen Fall entscheidet, ohne zu berücksichtigen, dass manche Fälle sehr kompliziert sind und Zeit brauchen. Viele verstehen auch nicht, warum es in Strafprozessen auch auf einen verfahrensmäßig einwandfreien Ablauf ankommt. Umgekehrt sollten die Richter den Bürgern nicht nur rechtstechnisch begegnen, sondern ihre Entscheidungen auch allgemein verständlich begründen.
Schon Kiros Modiak, der bekannte Staatsrechtler, schrieb: "Man kann die Qualität eines Staates an seinem Rechtssystem ablesen. Man kann kein Recht machen, ohne dabei an sein Volk zu denken."

Daraus ergibt sich der Leitsatz: "Rechtspolitik ist stets auch Gesellschaftspolitik."

Ich hoffe, diese Verflechtungen zwischen Recht, Staat und Bürger sind in dieser einführenden Abhandlung etwas deutlicher geworden.
Nehmen wir das Recht zunächst einmal als gegeben hin.

Doch welche Quellen haben wir dafür?

Einmal das geschriebene Recht.
Die elementarsten Grundlagen des Rechts sind auch heute noch die Drei Bücher der Gesetze, einfacherweise als das Erste, Zweite und Dritte Buch der Gesetze bekannt.
Im Ersten Buch geht es um das Recht der Bürger untereinander. Denkt nur an das Vertrags- und Erbrecht. Das geht also jeden direkt an.

Das Zweite Buch enthält die Reichsverfassung. Hier sind viele der maßgeblichen Ideen der Königin zum Staatsaufbau und Schemuriens Idealen niedergelegt. Ein Blick hinein ist eigentlich immer lohnend.
Daraus geht auch hervor, wo die Gesetze herkommen und wie sie genau entstehen. Das wird ein Thema im Fach "Staats- und Verfassungsrecht" meiner geschätzten Kollegin Rhenia Vucallion sein.

Sie wird in ihren Vorlesungen unter anderem folgende Fragen ansprechen: Beziehungen zwischen der bürgerlichen und der staatlichen Gemeinschaft; Eigenschaften der staatlichen Gemeinschaft; die Entstehung des Staates; die Legitimierung der staatlichen Macht; Typen, Formen und Arten des Staates; der monarchische Rechtsstaat; die Machtausübung durch den Staat.
Das Ziel ihres Faches ist es, dem Studierenden elementares Wissen über das Recht (das Wesen und der Charakter des Rechts; das Recht in der Gesellschaft, das Recht und die Wesensrechte, die Rechtsstaatlichkeit im Rechtsstaat, Rechtsnormen, das Rechtsverhältnis, Rechtsquellen, Rechtsauslegung, Charakteristik der einzelnen Rechtsdisziplinen, Rechtsschutzorgane) zu vermitteln.

Das Dritte Buch der Gesetze beschäftigt sich mit dem Strafrecht. Mit diesem Werk wollen wir uns hier ja hauptsächlich auseinandersetzen, also kauft euch ein Exemplar davon, falls ihr noch keines habt. Im Laufe der Zeit werden schon Rechtsgelehrte aus euch werden, und das mindeste, das ich euch versprechen kann, daß ihr juristische Scherze verstehen werdet wie den Namen "265 a" für eine Kneipe in Khetanin.

Es gibt aber auch ungeschriebenes Recht.
Das sind zum einen Rechtssätze, die gültig sind, obwohl sie nicht in den offiziellen Gesetzbüchern enthalten sind - also einige Grundgedanken, die so elementar sind, daß sie eher eine Idee als eine Regelung ausdrücken, etwa: "Das Recht muß dem Unrecht nicht weichen."
Zum anderen gibt es aber auch noch traditionell überlieferte Rechtsformen, die sich überwiegend im sogenannten Gewohnheitsrecht niedergeschlagen haben, wie etwa bestimmte Wegerechte oder das ausschließliche Recht der Waffenmeister, ein Clastaar zu führen. Auch die Stellungen der Hohen Häuser gründen sich hauptsächlich auf Traditionen, aber inwieweit dadurch Rechtsgründe entstehen oder entstanden sind, wäre ein interessantes Thema für eine Abschlußarbeit und soll daher hier nicht näher vertieft werden...

Für eure künftigen Studien möchte ich euch nun noch einige Hinweise geben, wobei klar sein sollte, dass jeder individuell das Richtige für sich finden muss.

Die Grundlagen werden Euch in den Vorlesungen oder auch im Selbststudium vermittelt. Das heißt, dass man eine Vorlesung nicht immer oder auch gar nicht besuchen muss, wenn man mit der Art des Lesenden überhaupt nicht zurechtkommt, sprich, das, was er mitzuteilen versucht, auf eine andere Art und Weise besser versteht. In aller Regel ist es aber für Anfänger sinnvoll, die Vorlesungen zu besuchen, schon allein wegen der juristischen Ausdrucksweise.

Nebenbei betreibt Ihr das Selbststudium mit Büchern, Manuskripten, Kommentaren, Fallsammlungen und so weiter.
Aus meiner Sicht zeichnet sich das Lernen an der Universität von Centrona durch ein Höchstmaß an Lernfreiheit aus. Dies bedeutet ganz einfach, dass man selber Themengebiete erarbeiten und Probleme hinterfragen muss. Es wird nicht alles in den Vorlesungen erläutert, ebenso wenig kann eine Fallbesprechung alles bieten, was man für Hausarbeiten und Klausuren braucht. Beide geben Euch das Handwerkszeug, dass Ihr braucht, um zu bestehen.

Man sollte sich schon am Anfang des Semesters mit der nötigen Literatur ausstatten. Zwingend notwendig ist wohl die Anschaffung eines Lehrbuchs. Hier ist die Auswahl groß, und so mancher rennt ohne genaue Vorstellung in die Imathis-Bibliothek, nur um dort vor dem gesammelten Wissen zu verzweifeln.
Da ist es wohl vorläufig sinnvoller, sich einen Kommentar aus der universitätseigenen Bibliothek auszuleihen, denn mit Hilfe eines solchen kann man das Gelernte vertiefen. Gegen Ende des Semesters ist es ratsam, sich eine Fallsammlung zulegen, welche die Fälle auf dem Niveau der Anfängerübung behandelt, um daheim üben zu können. Man sollte sich im Klaren darüber sein, daß das, was einem selbst gehört, auch unterstrichen werden kann, was durchaus vorteilhaft ist, wenn man noch einmal die wichtigen Stellen nachlesen will.

Bildet Euch selber eine Meinung, denn eine jeweils zum Spruch passende Formel wie bei den Magiern gibt es zum juristischen Lernen nicht. Vor- und Nacharbeit sind unerlässlich, aber das Wie und Wieviel ist von Person zu Person verschieden.

Glaubt nicht, dass regelmäßige Teilnahme an Lehrveranstaltungen weniger Lernen rechtfertigt!
Ich empfehle Euch, den Stoff mindestens eines Lehrbuchs im Semester durchzuarbeiten. Arbeitet damit den behandelten Stoff nach und bereitet die nächste Vorlesung vor. Für die Fallbesprechungen solltet Ihr die Fälle vor der jeweiligen Stunde mindestens gelesen haben, idealerweise habt Ihr sie schon teilweise bearbeitet bzw. zu bearbeiten versucht.
Wenn Ihr ein Manuskript bekommen habt, gehört das natürlich zur Vor- und Nachbereitung dazu!
Diese Technik ermöglicht Euch, den Inhalt schnellstmöglich zu erfassen und Fragen zu stellen, was vor allem in den Fallbesprechungen möglich ist. Wenn man etwas zu fragen hat, muss man das auch tun.

Wenn jetzt keine weiteren Fragen aufkommen, dann ist die Einführung damit beendet.
Danke für eure Aufmerksamkeit.


 
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